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Die Zukunft des Reisens - Die Nähe als neue Ferne

Kommentar

Gestrichene Flüge, Personalmangel und verlorenes Gepäck: Das waren die Schlagzeilen des vergangenen Sommers in Europa. Der nächste Sommer steht vor der Tür, es ist an der Zeit, die Art und Weise, wie wir reisen, zu überdenken und sich zu fragen: wollen wir so weiter machen?

Wir leben nicht mehr in einer Pandemie, die Reisebranche erholt sich rasch. Der World Travel and Tourism Council geht davon aus, dass die Branche in diesem Jahr nur fünf Prozent unter dem Vorkrisen-Niveau von 2019 liegen wird. Die Menschen sind begierig darauf, das Unbekannte ohne Masken, Schnelltests und Sorgen zu erkunden. Doch die Pandemie bot uns eine Chance: Urlaub muss nicht immer ein Codewort für einen Flug in ein anderes Land sein. Es geht nicht darum, ganz auf Reisen in andere Länder zu verzichten, sondern zu erkennen, dass es vor Ort genauso lohnende Erfahrungen gibt. 

Eigentlich sollte es keine Herausforderung sein, die Art und Weise, wie wir reisen, zu überdenken. Auf dem Höhepunkt der Pandemie wurden wir alle zu Experten darin, kreativ zu werden und Gebiete zu erkunden, die näher an unserem Zuhause liegen, da wir keine andere Wahl hatten. So waren die Australier fast zwei Jahre lang auf ihrer Insel eingeschlossen. Die Erkundung des eigenen Hinterhofs war die einzige Möglichkeit, zu reisen. Infolgedessen wurde das Leben im Wohnwagen immer beliebter, vor allem bei jungen Menschen und Familien, was zu einem Verkaufsboom bei Wohnwagen führte. Die hohe Nachfrage nach Freizeitfahrzeugen brach im Jahr 2021 einen vier Jahrzehnte lang währenden Produktionsrekord. Die Australier wandten sich auch den Aktivitäten auf dem Wasser zu, wobei allein im Jahr 2021 18.500 neue Boote registriert wurden. Dank der Pandemie entdeckten auch meine Eltern, die gerne in Europa Urlaub machen, eine ganz neue Welt, die sie seit Jahren hätten erleben können - weniger als 15 Kilometer von der Haustür bis zur Bootsrampe, trennen sie vom Paradies.

Für die Deutschen bleibt das eigene Land auch in diesem Jahr das beliebteste Urlaubsziel, doch im Vergleich zu den letzten beiden Jahren planen immer weniger Deutsche ihren Urlaub hier zu verbringen, so eine Tourismusanalyse. Wenn die Welt zu einer neuen Normalität zurückkehrt, werden wir dann auch zu alten Reisegewohnheiten tendieren und in die Ferne reisen, sobald wir in den Urlaub wollen?

Es gibt viele Gründe, Urlaub im eigenen Land zu machen: einen neuen Blick auf unser eigenes Land zu werfen, die Verringerung unseres CO2-Fußabdrucks und die Unterstützung lokaler Unternehmen. Dafür muss jedoch der Inlandsverkehr selbst attraktiver werden, und dazu gehört für Deutschland auch die Deutsche Bahn. Zweifelsohne hat das 9-Euro-Ticket mehr Menschen dazu gebracht, ihr eigenes Land zu erkunden, aber dies geschah um den Preis von Verspätungen, Zugausfällen und oft frustrierten Fahrgästen. Bis 2027 will DB Regional die Zahl der jährlichen Fahrgäste im Vergleich zu 2022 um 40 Prozent steigern. Doch das bereits überlastete Schienennetz erfordert enorme Investitionen, um Reisen im Inland attraktiv zu machen. Bis 2027 schätzt die Bundesregierung den Investitionsbedarf auf 88 Milliarden. Es wird Jahre dauern, bis wir etwas davon spüren.

​Wir sollten nicht vergessen, welche Chance wir durch die Pandemie gewonnen haben: unser eigenes Land mit neuen Augen zu sehen und zu schätzen, was direkt vor unserer Tür steht. Es geht nicht darum, dass wir den Urlaub in der Ferne verteufeln, aber wir sollten überdenken, ob das wirklich immer sein muss. Damit das jedoch zur Realität wird, muss sich noch einiges ändern.